Robin Alexander, wie arbeitest Du?

Macht es dir eigentlich noch Spaß zu schreiben, wenn du in wenigen Sätzen ein so großes Publikum erreichst wie bei “Lanz”?
In der Regel habe ich alles, was ich im Fernsehen erzähle, vorher als Text in “Welt” oder WamS veröffentlicht.

Was kann man im Fernsehen sagen, was man in einem Text nicht sagen kann?
Nichts.

Gibt es subtilere oder auch gewagtere Einschätzungen, die man nur in einem Text darlegen kann, niemals aber im Fernsehen?
Nein. Fernsehen birgt allerdings die Gefahr, dass man nonverbal Dinge kommuniziert, die man nicht kommunizieren wollte oder nicht auf diese Weise kommunizieren wollte. Bei “Maybrit Illner” war neulich die deutsche Verteidigungsministerin von einem Besuch in Washington zugeschaltet. Als sie ihre zögerliche Praxis, Waffenlieferungen für die Ukraine zu genehmigen, rechtfertigte, fing die Kamera mein bestürztes Gesicht ein. Diese Bestürzung habe ich ehrlich empfunden, hätte sie aber in einem Text nicht emotional, sondern in Argumenten ausgedrückt.

Gab es eine Zeit, wo du bei Talkshows vor Aufregung fast gestorben bist?
Das beste Mittel gegen Nervosität ist eine exzessive Vorbereitung. Der Stoff, den man durchgearbeitet hat, trägt einen, auch wenn 90 Prozent nie zur Sprache kommen. In meiner ersten Lanz-Sendung stellte ich mein Buch „Die Getriebenen“ vor. Vorher hatten alle Talkshow-Redaktionen des Landes die Fahnen vom Verlag bekommen und niemand wollte darüber berichten. Lanz las dann den Vorabdruck in der WamS und lud mich spontan ein. Da ich das Material ja schon für das Buch durchgearbeitet hatte, war ich ruhig.   

Wie hat sich journalistischer Stil in den letzten 20 Jahren geändert und wie findest du das?
Mein Eindruck ist, dass die großen Egos der 68er Generation abgetreten sind und ihre Nachfolger bescheidener auftreten. Das hat vielleicht mit dem Verfall der finanziellen Möglichkeiten und des Sozialprestiges zu tun. Und damit, dass wir in ernsteren Zeiten leben.

Gibt es ein neues "Die Getriebenen" oder denkst du manchmal, dass das dein Lebenswerk war: perfektes Thema, richtiger Autor im richtigen Alter?
Mein Buch „Machtverfall“ hat im vergangenen Jahr mehr Leser gefunden als „Die Getriebenen“. Ein Lebenswerk? Journalismus bleibt doch, wie der Name schon sagt, immer Tagesgeschäft.

Kann man als Reporter in Deutschland gut altern (oder warum gelingt das immer nur amerikanischen Autoren)?
Keine Ahnung. Ich bin jetzt 46 und bisher geht es.

Ausstiegsfantasien (die du teilen willst)?
Nein. Ich kann nichts anderes.

Vorbilder?
Bettina Gaus mit ihrer unbestechlichen Art, auf Politik zu blicken. (In unserem Job ist die geläufigste Art der Bestechung nicht Geld, sondern das Zulassen von Nähe.) Jens König in seiner Härte dem Text gegenüber. Von den Klassikern: Sebastian Haffner in Stil und sicherem politischem Urteil.

Ein Recherchetrick?
Offene Fragen.

Ein Schreibtick?
Ich setze zu viele Doppelpunkte.

Ein Schreibtrick?
Ausdrucken und auf dem Blatt bearbeiten.

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Als ich bei der taz anfing, gaben sie mir eine Kolumne. Das war lieb gemeint, aber Blödsinn. Junge Autoren neigen sowieso zu Manierismen und dazu, zu viel Persönliches preiszugeben. Später haben sie es mir dankenswerterweise wieder ausgetrieben.

Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Manchmal muss man etwas aufschreiben, obwohl man dafür auf die Mütze bekommt. Ich bin mit mir zufrieden, dass ich das ab und an getan habe. Stolz ist mir aber ein zu dramatisches Wort dafür, denn es war immer kein wirkliches Risiko.

Gutes Redigieren heißt für dich?
Den Kern freilegen. Niemand kann das so gut wie Wolfgang Büscher.

Welchen Text einer anderen Autorin oder eines anderen Autors hättest du gern selbst geschrieben?
Es gibt diese Texte, bei denen es einen beim Lesen mit tiefer Freude erfüllt, dass jemand gesagt hat, was zu sagen ist. Aber mich bekümmert nicht, dass ich es nicht gewesen bin. Warum auch?

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Streichen.  

Ein Buch, das einem hilft, die Ukraine oder auch Russland zu verstehen?
Zur Ukraine aktuell: "Entscheidung in Kiew" von Karl Schlögel. Zur Ukraine historisch: "Bloodlands" von Timothy Snyder.

Zu Russland aktuell: "Secondhand-Zeit" von Swetlana Alexijewitsch (eigentlich Weißrussland, aber egal).

Zu Russland/Sowjetunion historisch: "Terror und Traum" von Schlögel ist ein Meisterwerk.

Zum vielleicht für das Reporter:innen-Forum interessantem Thema Schreiben unter totalitärer werdenden Bedingungen: "Die Mutanten des Kreml" von Elena Tregubova. Historisch zum Schreiben im Stalinismus: "Ingenieure der Seele" von Frank Westermann.

Und falls Putin verliert, sollte irgendjemand eine Übersetzung von "Die Kultur der Niederlage" von Wolfgang Schivelbusch ins Russische sponsern.

 

Geboren 1975 in Essen, Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet, Studium Geschichte und Journalismus in Leipzig, Volontariat bei der “taz” in Berlin. Reporter ebendort, anschließend Gründungsredakteur der deutschen Ausgabe der “Vanity Fair”. Seit 2008 bei “Welt” und “Welt am Sonntag”. Zuständig für Berichterstattung über das politische Berlin und das Kanzleramt insbesondere. Seit 2019 als stellvertretender Chefredakteur. Lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Berlin.

Robin Alexander bei WELT