Fünf Jahre lange arbeitete der Niederländer Joris Luyendijk als
Reporter in Konfliktgebieten. Nun prangert er an, wie Journalisten dort
arbeiten: Die Presse berichte einseitig, sei uninformiert und bediene
Klischees. Sven Behrisch erlebte Luyendijk bei einer Veranstaltung der
Hamburg Media School. Wir ergänzen seinen Bericht mit einer Leseprobe aus Luyendijks Buch.
Joris Luyendijk: "Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten
des Krieges". Aus dem Niederländischen von Anne Middelhoek. Tropen
Verlag, Berlin 2007, 19,80 Euro
Luyendijk an der Hamburg Media School
Er sei ausgelaugt, durchgenudelt, leergequatscht, sagt der Reporter. Seit zwei Jahren zieht der Niederländer Joris Luyendijk von Lesung zu Lesung, um sein Buch zu präsentieren. „Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges“. Das Werk erschien 2006, verkaufte sich allein in den Niederlanden über 120.000 Mal und liegt mittlerweile in zweiter Auflage vor. Das Buch ist eine Abrechnung eines Kriegsreporters mit dem Kriegsreportertum. Drei Jahre lang hat er daran gearbeitet, 256 Seiten damit gefüllt, unzählige Kollegen gegen sich aufgebracht.
Luyendijk, der in Amsterdam und Kairo Arabistik und Politikwissenschaft studierte, war einer der jüngsten Reporter, die je in den Krisengebieten des Nahen Ostens im Einsatz waren. Für die Zeitungen de Volkskrant, NTC Handelsblad und die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt NOS berichtete er aus dem Libanon, aus Ägypten und von den Konflikten in Israel und den Palästinensergebieten.
Luyendijks Résumé nach sechs Jahren an der Reporterfront: Die Presse berichte einseitig, sei uninformiert und bediene Klischees. Vor allem aber: sie sei der Katalysator des Terrors. Zur Illustration nimmt Luyendijk das Coverbild seines Buches: Ein palästinensischer Steinewerfer in voller Aktion ist da zu sehen, er rennt, seine rechte Hand holt aus, die linke schwingt effektvoll die Fahne. Im Hintergrund Fotografen. Zweireihig, mit Stahlhelmen auf dem Kopf, haben sie sich postiert, um den Werfer in aller Dramatik festzuhalten. In den Gesichtern liegt Zufriedenheit, manche lächeln. Ihr Glück: Der Werfer ist ein gutes Motiv. Ihr Problem: Sie selbst, sagt Luyendjk, seien das Motiv des Werfers.
Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten machten sich zu Handlangern der streitenden Parteien, deren Arsenale mit den Waffen der PR ebenso gut ausgestattet seien wie mit Granaten und Pistolen. Es sei nicht so, sagt Luyendijk, dass ohne Kamera der Krieg ausbliebe. Doch ohne Journalisten flöge nur ein Stein. Mit Journalisten fliegt er tausendfach und um die ganze Welt. Man stelle sich vor, es herrscht Terror, und keiner filmt mit.
Luyendijk stellt fest: Die Reporter sind nicht Herr, sondern Knecht der Berichtslage. Das liege nicht allein an der Professionalisierung von Kriegsparteien im 21. Jahrhundert; die Hauptschuldigen säßen vor allem in den Redaktionen in Amsterdam, Hamburg, Paris oder Mailand. Sie, die Redaktionschefs, hätten in der Regel keinen Schimmer von den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort, sie verließen sich auf die Sensations-Tickermeldungen der Nachrichtenagenturen und diktierten ihren Korrespondenten vom Bürostuhl aus, von welchem Brennpunkt sie zu berichten hätten.
„Dann haben sie mir die Nachrichtenmeldungen geschickt - per Fax oder E-Mail - und ich habe sie zusammengefasst“, sagt Luyendijk in einem Interview mit 3Sat. „Das hat mich auch sehr erstaunt. Es kostet sehr viel Geld, mich in Kairo leben zu lassen, und dann lassen sie mich Arbeit machen, die sie auch hier in Amsterdam machen könnten, denn sie bekommen dort die Presseagenturen.“ Korrespondenten würden viel zu oft manipuliert, von autokratischen Regimen, aber auch von den Redaktionen in der Heimat.
Eine differenzierte Berichterstattung, die den Ursachen der Geschehnisse und der Stimmung der Menschen vor Ort nachspüre, sei unerwünscht, da sie nicht der Erwartungshaltung von Gewalt, Blut und Verzweiflung entspräche. Viele Reporter hätten auch selbst wenig Ahnung der Lage. Und die wenigsten können Arabisch sprechen.
Luyendijk geht mit seinen ehemaligen Chefs und mit seinen Kollegen vor Ort hart ins Gericht. Er sagt, er wolle nicht grundsätzlich den Sinn der Berichterstattung aus Krisenberichten anzweifeln. Selbst möchte er aber nicht mehr von dort berichten. Andere mögen es besser machen. Denn seit Luyendijk verstanden hat, dass gute Publicity die halbe Miete ist, schreibt er lieber weiter Bücher.
Sven Behrisch
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