Dieser Text gehörte zu den vornominierten Texten für den Henri-Nannen-Preis 2008, Kategorie "Beste Reportage".
Mercedes Landa, geboren 1978, lebt als Tochter eines Oberstleutnants in Buenos Aires. Im Februar 2000 lädt ein Richter sie vor und eröffnet ihr: Sie ist nicht die, die sie glaubt zu sein. Ihre wahren Eltern: ermordet während der Militärdiktatur. Ihr Ziehvater: ein Offizier dieses Terror-Regimes, der sie als Baby raubte. Und so verlässt eine in die argentinischen Abgründe gestürzte Frau das Zimmer des Richters. Mit neuem Namen, neuer Identität. Seither sucht sie Antworten: Wer bin ich wirklich? Wer ist Claudia Poblete?
DIE ARGENTINISCHE GESCHICHTE
Das Leben von Mercedes Landa endet im Februar 2000, im heißen Sommer von Buenos Aires. Der Asphalt fühlt sich weich an, wie Waldboden, als die junge Frau aus dem Bus steigt. Vor ihr ragt ein neunstöckiger Granitklotz aus der Erde. Die Fassade ist grau verwittert; unter den Fensterbändern kleben tropfende Klimaanlagen.
In diesem Bau, dem Justizpalast "Comodoro Py", wird Mercedes Landa für immer verschwinden.
Mercedes Landa, 21 Jahre alt, zierlich, geht ihren letzten Gang. Über die Straße, durch das Gittertor, dann acht Treppenstufen, ein Absatz, fünf weitere Stufen. Sie stemmt sich mit dem geringen Gewicht ihres Körpers gegen die Messingtür. "Guten Tag. Ich möchte zu Richter Cavallo." Das Gebäude flößt ihr Angst ein. Die haushohe Eingangshalle ist mit Marmor und Granit ausgekleidet.
Sie fährt mit dem Aufzug in den dritten Stock; ein Polizist wacht dort, er trägt eine schusssichere Weste. Eine Frau in einem blauen Overall bohnert das Parkett. Mercedes Landa geht rechts den Korridor hinunter bis zum Ende. Auf dem Flur stehen zwei Dutzend Menschen und tuscheln. Mercedes Landa zittert, als sie das Büro des Richters betritt. "Was ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht einfach", sagt der Richter. Er hat die großporige, ungesunde Haut des Kettenrauchers, trägt das braungraue Haar raspelkurz. Sein Jackett hängt über der Stuhllehne, die Schultern gespreizt wie Fledermausflügel. "Sie sind nicht Mercedes Landa."
(...)
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